Berufseinstieg, Berufsausstieg und die Rolle sozialer Unterstützung

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Die Einbindung in ein soziales Netzwerk und die (wahrgenommene bzw. erhaltene) soziale Unterstützung durch andere sind über die gesamte Lebensspanne die wichtigsten externalen Ressourcen bei der Bewältigung von Belastungs- und Krisensituationen. Dennoch stellt die Studie Gesundheit in Deutschland aktuell (GEDA, 2012) des Robert-Koch-Instituts deutliche Altersunterschiede fest: insgesamt berichten 17% der Befragten eine nur geringe soziale Unterstützung. Dieser Anteil steigt bei den über 65-Jährigen deutlich. Hier sind es 20% (Männer) bzw. 25% (Frauen). Andersherum berichtet die Gruppe der 18-25 Jährigen mit 40% den höchsten Anteil starker sozialer Unterstützung.

Dieser Artikel stellt unterschiedliche Formen sozialer Unterstützung im beruflichen Kontext dar und verdeutlicht ihre Bedeutung im Zuge zweier kritischer Lebensereignisse: Beim Einstieg in das und beim Ausstieg aus dem Berufsleben.

 

 Formen sozialer Unterstützung:

Soziale Unterstützung ist ein Sammelbegriff und bezeichnet sowohl das Erwarten als auch das Erhalten von Hilfe und Unterstützung bei der Bewältigung von herausfordernden oder belastenden Situationen.  Soziale Unterstützung kann auf verschiedene Art und Weise stattfinden. Stellen wir uns dazu folgende Situation vor: Eine Führungskraft hat einen seiner Mitarbeiter mit der Erstellung eines Projektplans beauftragt. Zur Fertigstellung des Projektplans benötigt der Mitarbeiter eine Rückmeldung zu den Zwischenergebnissen von der Führungskraft. Leider wartet er vergeblich. Als der Mitarbeiter noch einmal zaghaft nachfragt, reagiert die Führungskraft genervt und fragt, warum der Projektplan nicht schon längst stehe. Welche Formen der sozialen Unterstützung können in dieser Situation gesucht und erbracht werden?

  • Informationelle Unterstützung: Ein Ratschlag oder Tipp zum Umgang mit der Führungskraft wäre sicherlich hilfreich. Vielleicht hatte ein Arbeitskollege bereits eine ähnliche Situation und weiß, dass der Chef sich auf kurzfristige, persönliche Ansprachen häufig genervt zeigt, auf konkrete Anfragen per Mail jedoch meist sehr zügig und lösungsorientiert reagiert.
  • Instrumentell-materielle Unterstützung: Da der Chef mit der Erstellung des Projektplans drängelt, wäre eine konkrete Hilfe bei der Erledigung der Aufgabe eine gute Unterstützung.
  • Emotionale Unterstützung: Die genervte Reaktion und der zusätzliche Zeitdruck können zu einer Verunsicherung des Mitarbeiters führen, möglicherweise verspürt er neben dem zeitlichen Stress auch Ärger und Wut. Dann wäre eine durch Verständnis und Zuwendung geprägte Aussprache mit der Lebensgefährtin hilfreich, die Trost, Rückhalt und Zuversicht spendet.
  • Positiver sozialer Kontakt, Beziehungssicherheit: Mit seiner Unsicherheit und seinem Ärger kann sich der Mitarbeiter auch an seine Arbeitskollegen werden. Diese können ihm Zusammenhalt vermitteln, in dem sie bestätigen, er habe alles richtig gemacht, sie hätten ebenso gehandelt und sie können das Verhalten des Chefs nicht nachvollziehen.
  • Bewertungsunterstützung: Die Arbeitskollegen können nicht nur Hilfe in Form einer positiven, emotionalen Rückmeldung geben, sondern auch zur Problemlösung beitragen. Sie könnten ein klärendes Gespräch anregen oder den Mitarbeiter darin bestärken, dass er den Projektplan auch ohne die erhoffte Rückmeldung erfolgreich erstellen kann. Durch die Einschätzung seiner bisherigen Ergebnisse, das Einbringen von Erfahrungen als Orientierung und die Betonung seiner Fähigkeiten können sie das Kontrollerleben und die Zuversicht in die eigene Kompetenz stärken.

Soziale Unterstützung im Arbeitskontext: Wessen Unterstützung hilft?

Während kurzfristiger Stress (über)lebensnotwendige Energiereserven bereitstellt, kann chronischer Stress zu starken gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen. Soziale Unterstützung im Arbeitskontext kann als wichtiger Stresspuffer dienen und sowohl durch den/ die Vorgesetzten als auch durch die Arbeitskollegen/innen eine positive Wirkung für die Gesundheit entfalten. Führung und Arbeitsklima hängen eng zusammen.

Ein Mangel an sozialer Unterstützung durch den Vorgesetzten, z.B. in Form von Mangel an Feedback und Anerkennung, fehlendem Interesse und ausschließlicher Betonung negativer Arbeitsergebnisse, führt zu verstärktem Stressempfinden und erhöhtem Burnoutrisiko. Soziale Unterstützung durch die Führungskraft in Form eines kooperativen Führungsstils kann wiederum schnelle und hilfreiche Problemlösungen herbeiführen. Die soziale Unterstützung durch die Führungskraft kann sich sowohl auf emotionaler Ebene (z.B. durch aktives Zuhören, durch die Berücksichtigung individueller Bedürfnisse bei der Erstellung von Dienstplänen, durch persönliches und fachliches Vertrauen) als auch auf instrumenteller Ebene (z.B. durch die Kommunikation eigener Erfahrungen, durch die Bereitstellung weiterer personeller Ressourcen zur Erledigung von Aufgaben, durch Feedback und konstruktive Kritik) entfalten.

Weniger eindeutig ist die Befundlage zur kollegialen Unterstützung. Grundsätzlich geht ein hohes Maß an kollegialer Unterstützung mit einem erhöhten Wohlbefinden und einem geringeren Belastungserleben einher. Allerdings kommt es wieder auf die Führungskraft an: Bei geringer sozialer Unterstützung durch den Vorgesetzten und starker Unterstützung durch einen Kollegen kann es zu einer emotionalen Aufschaukelung der Situation kommen. Die beiden Mitarbeiter bestärken sich womöglich gegenseitig in der Bewertung der Situation als stressbezogen und bedrohlich. Zusätzlich fällt dadurch der Arbeitskollege als Bewältigungsressource weg, sodass sich das Gefühl der Hilflosigkeit verstärkt. Zusätzlich spielt es selbstverständlich eine Rolle, ob ein Mitarbeiter überhaupt starke soziale Unterstützung durch die Kollegen/innen wünscht, bzw. ob sich diese beispielsweise nur auf die instrumentelle Unterstützungsform beziehen soll, während die emotionale Unterstützung durch soziale Kontakte im Privatleben abgedeckt wird. Grundsätzlich werden daher vier Typen von Arbeitsbeziehungen unterschieden: (1) vertraut, (2) zugewandt aber oberflächlich, (3) zurückgezogen und ablehnend und (4) neutral indifferent, also weder vertraut noch ablehnend. Mehrfach hat sich gezeigt, dass die Pflege mindestens einer vertrauten Beziehung zu einem Kollegen/ einer Kollegin das Stress- und Belastungserleben im Arbeitskontext verringert.

Soziale Unterstützung und der Einstieg in das Berufsleben

Wer in das Berufsleben einsteigt, der gehört in der Regel zu der Altersgruppe, die über eine starke soziale Unterstützung verfügt. Familienangehörige, Schulfreunde, Mitglieder der Musikband oder Sportmannschaft bieten vielfältige Netzwerkoptionen und Quellen des sozialen Austauschs und der Unterstützung. Gleichzeitig möchte der Berufseinsteiger seinen Platz in der Arbeitswelt und in seinem Unternehmen finden. Wer heute in die Arbeitswelt einsteigt, gehört jedoch auch einer Generation an (die Generation Y), die mit dem Smartphone und damit mit dem Leben in Online Social Networks aufgewachsen ist. Durch soziale Netzwerke im Internet ist diese Generation darauf ausgerichtet, ein möglichst positives Profil des Selbst nach außen darzustellen – niemand postet gerne ein Foto, auf dem man alleine zu Hause sitzt und sich langweilt oder gar traurig ist. Zusätzlich möchte man als Einsteiger auch nicht laufend nach Hilfe fragen, man möchte kompetent wirken und wertvoll für das Unternehmen sein. Für den Berufseinsteiger sind daher folgende Aspekte der sozialen Unterstützung besonders wichtig:

  • Orientierung geben: Der Berufseinsteiger muss dazulernen, er muss seine eigentliche Arbeitsaufgabe in dem neuen Unternehmen erlernen und das soziale Gefüge des Unternehmens kennenlernen und seinen Platz finden. Vereinfacht gesagt lernen wir über Belohnung, Bestrafung und Vorbilder. Das bedeutet, der Berufseinsteiger braucht Modelle und Vorbilder, an denen er sich orientieren kann. Eine transparente Kommunikation der Mindestanforderung an seine Arbeitsleistung ist ebenso wichtig wie die Kommunikation, welche bzw. wessen Leistung als ausgezeichnet gilt.
  • Konsequenz und Beziehungssicherheit: Die Generation Y ist es aus online sozialen Netzwerken gewohnt, direkte und schnelle Rückmeldungen zu geben und selbst zu erhalten. Lernpsychologisch ist es vorteilhaft, wenn auf eine Aktion (gute oder schlechte Arbeitsleistung) die entsprechende Reaktion (Lob oder Kritik) möglichst schnell erfolgt, damit die Reaktion (z.B. das Lob) eindeutig mit der entsprechenden (guten) Arbeitsleistung in Verbindung steht. Diese eindeutige Zuordnung der Rückmeldung findet in online sozialen Netzwerken ebenfalls statt: Die positive Rückmeldung auf das Urlaubsfoto ist direkt unter dem Urlaubsfoto selbst zu finden und nicht unter dem nachfolgendem Post über den Discobesuch am Wochenende. Gleichzeitig sollte, v.a. vor dem Hintergrund negativer Rückmeldungen, kommuniziert werden, dass sich die Kritik auf die Arbeitsleistung und nicht auf die Person bezieht und diese gerade deswegen geäußert wird, da ein Verbesserungspotential und das Vertrauen in die Fähigkeiten des Berufseinsteigers bestehen.
  • Emotionale und instrumentelle Unterstützung anbieten und bedarfsgerecht abbauen: Besonders durch den Wunsch nach positiver Selbstdarstellung und kompetenter Wirkung auf Vorgesetzte und Kollegen, haben Berufseinsteiger Hemmungen, Hilfe und Unterstützung zu erfragen. Daher sollten, gerade gegenüber zurückhaltenden Berufseinsteigern, Angebote der Unterstützung und konkreten Hilfe unterbreitet werden. Auch emotionale Unterstützung durch einen verständnisvollen und empathischen Umgang miteinander fördert die Möglichkeit für den Berufseinsteiger, die neuen Anforderungen als positive Herausforderung und weniger als bedrohlichen Stress wahrzunehmen. Andersherum sollte v.a. die instrumentelle Unterstützung mit zunehmender Kompetenz und Arbeitsleistung abgebaut werden, sodass der Berufseinsteiger positive Erfahrungen der Selbstwirksamkeit und des Kontrollerlebens für sich verbuchen kann.
  • Soziale Netzwerke im Privatleben ermöglichen: Ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Anspannung und Entspannung, zwischen beruflichen Anforderungen und privater Erholung („Work-Life-Balance“) ist nicht nur gewünscht, sondern auch äußerst gesundheitsförderlich. Berufseinsteigern sollte, wie selbstverständlich allen Mitarbeitern, demnach die Möglichkeit gegeben werden, individuelle soziale Bedürfnisse auszuleben. Häufige Überstunden oder Wochenendarbeit, die dazu führen, dass wichtige soziale Netzwerke wie Sportmannschaften oder Musikbands leiden oder gar aufgegeben werden müssen, sorgen für zusätzlichen Stress, führen zum Wegfall sozialer Unterstützungsressourcen und somit zu Unzufriedenheit und einem gesteigerten Gesundheitsrisiko.

 

Was einen Preis hat, an dessen Stelle kann etwas anderes als Äquivalent gesetzt werden; was dagegen über allen Preis erhaben ist, hat seine Würde.

(Immanuel Kant)

Soziale Unterstützung und der Ausstieg aus dem Berufsleben

Wer aus dem Berufsleben aussteigt, der muss unweigerlich einen wichtigen Teil seiner persönlichen Identität zurücklassen. Die durch die Arbeit vorgegebene Sinnstiftung und Tagesstrukturierung geht ebenso verloren wie die (zwangsläufigen) sozialen Kontakte zu Vorgesetzten und Arbeitskollegen. Nicht selten hört man, dass nach der anfänglichen Erholungsphase zunehmend eine Phase der Leere und Orientierungslosigkeit eintritt, nachdem Personen aus dem Berufsleben ausgestiegen sind. Wer aus dem Berufsleben austritt, gehört in der Regel zu der Altersgruppe, die vermehrt über geringe soziale Unterstützung und gleichzeitig über stärkere gesundheitliche Beeinträchtigungen berichten. Für den Berufsaussteiger sind daher folgende Aspekte der sozialen Unterstützung besonders wichtig:

  • Emotionale Wertschätzung: Wer lange in einem Unternehmen gearbeitet hat, der hat Veränderungsprozesse miterlebt, das Unternehmen mit aufgebaut, Krisenzeiten begleitet und zum Fortbestand des Unternehmens beigetragen. Das Gefühl, einfach durch jemand anderen ersetzt werden zu können, ist dementsprechend eine akute Bedrohung der Selbstwahrnehmung und des Selbstwerts. Daher sollte bereits einige Zeit vor dem Berufsausstieg eine Kultur der Wertschätzung gegenüber der betroffenen Person stattfinden. Dies kann über eine öffentliche Danksagung, über persönliche Gespräche oder über die gemeinsame Erinnerung mit Kollegen an frühere Unternehmenszeiten geschehen. Entscheidend ist die Betonung, dass der entsprechende Mitarbeiter einen wichtigen Teil zum Unternehmen beigetragen hat, seine Arbeitsergebnisse fortbestehen werden und er als Person durch niemanden ersetzt werden soll und kann.
  • Fortbestehen sozialer Aktivitäten, Beziehungssicherheit: Der Berufsaussteiger hat nicht nur gearbeitet, er war auch Teil des sozialen Unternehmensgefüges. Enge, vertraute Beziehungen zu Arbeitskollegen sollten daher auch nach dem Berufsleben bestehen – dies ist insbesondere auch Aufgabe der „zurückgebliebenen“ Kollegen. Um den Übergang der engen Arbeitsbeziehung in eine Freundschaftsbeziehung zu ermöglichen, sollten schon vor dem Berufsausstieg gemeinsame soziale Aktivitäten außerhalb der Arbeit beginnen. Auch auf unternehmerischer Seite kann das Fortbestehen sozialer Aktivitäten gefördert werden: So können Einladungen zu Sommerfesten und Weihnachtsfeiern auch noch nach dem Berufsausstieg ausgesprochen werden.
  • Vorbereitungszeit ermöglichen: Die Techniker Krankenkasse rät in ihrer Infobroschüre „Aktiv in den Ruhestand“ zu einer frühzeitigen, aktiven Auseinandersetzung mit der Zeit nach dem Berufsleben. Essentieller Bestandteil dieser Vorbereitung ist der soziale Austausch über die veränderte Lebenssituation mit dem Partner/ der Partnerin, die Konkretisierung und Benennung neuer Lebensziele und die Auseinandersetzung mit der Veränderung sozialer Kontakte bzw. der Aufbau oder die Intensivierung von Sozialkontakten. Mit anderen Worten: Der Berufsaussteiger braucht Vorbereitungszeit! Hier sind Modelle der Altersteilzeit ebenso vorteilhaft wie die soziale Unterstützung durch Kollegen und Kolleginnen, die in Form gemeinsamer Aktivitätenplanung, Erfahrungsaustausch und kritischen Auseinandersetzung mit der neuen Lebenssituation stattfinden kann.

 

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Prof. Dr. Nora Walter
Von Prof. Dr. Nora Walter

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