Die Dynamik setzt eine Menge Energie frei – Erfahrungen mit Change Management

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Meine Interviewpartnerin Frau M., Psychologin, langjährig im Personalbereich eines Dienstleistungsunternehmens tätig, hat schon in vielen Veränderungsprojekten mitgewirkt. Was sind Ihre Erfahrungen? Was hemmt Change Management -Projekte und was bringt sie voran?

Meine erste Frage: Was ist das Interessante an Change Mangement? Es ist ja per Definition kein „Business as usual“…

Ja genau das ist es, was mich persönlich daran sehr reizt. Die Dynamik setzt eine Menge Energie frei – bei mir selbst – und auch eine gewisse Kreativität, mit den Dingen umzugehen. Es gibt da Freiheiten, die ich sonst in meinem beruflichen Leben nicht immer habe. Auch wenn die Ziele schon vordefiniert sind, aber der Weg dorthin lässt ja doch Gestaltungsspielraum.

dynamische Fraktale, © 2013 Andrew Ostrovsky, Adobe Stock
Fotolizenz © Andrew Ostrovsky/agsandrew , Adobe Stock

Ich stehe Veränderung auch eher positiv gegenüber. Vielleicht nicht jeder Veränderung – aber grundsätzlich habe ich da eine positive Einstellung. Ich arbeite ja in einem Umfeld, das ja eher nicht durch Wechsel, sondern durch Dauer geprägt ist und in den letzten Jahren viele Wechsel erlebt hat.

…die sind eher auf das Bewahren ausgerichtet?

Wenn die Rahmenbedingungen da sind, dann ist das eine gute Sache, weil sie einfach mitziehen Also wenn das Strategische eingetütet ist oder die Leitplanken bildet, dann kenne ich Mitarbeiter, jedenfalls bei uns, die die Ärmel hochkrempeln, in die Hände spucken und einfach machen ohne große Diskussionen.

…d.h. dass die Rahmenbedingungen denen so eine Sicherheit geben, und dass sie den Zwischenraum zwischen den Leitplanken dann auch gerne und tatkräftig gestalten?

Ja, genau. Es ist die Operationalisierung: Was bedeutet das für uns jetzt konkret? Ziele.

..d.h. die Aufgabe des Change Projektes liegt dann darin, aus den abstrakten strategisch-visionären Aussagen der Unternehmensleitung etwas Operationalisierbareres zu machen, damit die Leute, die das ausfüllen sollen, sich daran orientieren können.

Was brauchen die Change Agents dafür?

Rollenklarheit und  auch Freiräume, in denen sie agieren können. Was noch sehr wichtig ist, ist eine Belastbarkeit, mit Widerständen umzugehen, gleichzeitig eine hohe Empathie, weil sie  Widerstände bei einer Veränderung verstehen sollten. Ein empathischer Umgang damit führt dazu, dass die Leute eine Motivation bekommen. Das setzt aber voraus, dass sie kritische Stimmen auf eine konstruktive Art einbinden.

…d.h. die Change Agents müssen einerseits selber klar wissen, dass sie dazu da sind, die Veränderungen voranzutreiben, aber die Projektmitarbeiter oder die Betroffenen, die erst mal dagegen sind, auch mit emotionalen Argumenten nicht abwerten und ausgrenzen, sondern mit Empathie eine Brücke schlagen?

Ja, genau, das sind aus meiner Sicht Brückenbauer..

…ein schönes Wort!

Da muss es eine Durchlässigkeit für kritische Informationen geben. Es ist ja nicht immer so, dass Widerstände völlig unbegründet sind. Selbst wenn das Unternehmen sagt: „Ja, haben wir gesehen. Machen wir trotzdem so.“ Auch da wäre eine Rückkopplung enorm wichtig. Fehlende Rückmeldung ist Mangel an Wertschätzung.

…und sie verdienen eine Antwort?

Ja. Das ist aus meiner Sicht das Mindeste. Das ist ein Standard. Wenn ich keine Antwort auf meine Bemühungen bekomme, wird ja mein Engagement automatisch sinken.

Als Brückenbauer haben die Change Agents ja unterschiedliche Ufer zu verbinden, unterschiedliches Wollen. Das setzt aus meiner Sicht eine hohe Belastbarkeit voraus. Und auch einen Willen, sich da hinein zu begeben.

…und auch eine Toleranz dafür, dass es diese Widersprüche und Interessen gibt?

Ja, natürlich.

…so ein leichtes Weltbild, so mit Schwarz und Weiß, Richtig und Falsch, das ist ja schnell am Ende.

Das ist zu kurz gegriffen. Es ist nicht hilfreich, in so einer Dichotomie zu denken. Es gibt ja auch Zielkonflikte, die bleiben bestehen, mit denen lebt man auch.

…Sie haben ja schon viele Projekte erlebt: Was hilft denn, um die eigene Belastbarkeit immer wieder aufzubauen, dass man keinen Raubbau an eigenen Ressourcen betreibt?

Das ist eine gute Frage! Was mir deutlich geworden ist, dass eine gute Planung und Organisation wichtig ist und ein ordentliches Projektmanagement.

…Das ist ja interessant, dass Sie jetzt, um die eigene Kraft zu erhalten, auf so etwas eigentlich Einfaches wie eine ordentliche Technik verweisen.

Das ist die Basis.

…das wäre ja gar nicht so schwer.

Und auch so eine Resistenz. Also keine schlaflosen Nächte zu haben, wenn Sachen liegenbleiben. Das gilt es auszuhalten. Zur Technik gehört für mich auch eine Planung, eine realistische Planung. Was ich vermisse, ist ein vernünftiges Risikomanagement. Weil vieles, was so passiert, ist aus meiner Sicht nicht so überraschend. Ein „Tschakka, wir machen das! Und alles ist toll.“ zugunsten eines Risikomanagements aufzugeben… Aber eine kritische Einstellung gilt als was Negatives. Ich habe selbst noch keine Idee, wie man Risikomanagement in so einem Projekt irgendwie attraktiver gestalten kann.

…ja, ich finde das interessant, diesen Aspekt, denn wenn man das psychologisch sieht, ist es ja ein Verdrängungsmechanismus.

Richtig.

…und der ist ja dann relevant, wenn Menschen sich tendenziell überfordert fühlen. Denn „Augen zu und  durch“, ob man nun Tschakka schreit oder nicht, das ist ja abergläubisches Verhalten, da wird man auf keinen Fall besser sein, als wenn man die Risiken anguckt.

Ja, ich habe das Gefühl, das Schlimmste ist, dass die keine Selbstwirksamkeit erleben im Handeln. Das führt zu Stress und das führt wieder zu Verdrängung, und dann kommen so ganz seltsame Dinge dabei raus. Wenn man außenstehend ist und da draufschaut, denkt man: Ja, aber das war doch absehbar!

Man trifft Entscheidungen, wohlwissend, dass es Folgewirkungen haben wird. Und die Folgewirkungen werden zugunsten der getroffenen Entscheidung erstmal weggeschoben.

…Es würde sich ja anbieten, dass das Umgehen mit Risiken eigentlich in der Hardware des Projektes verdrahtet sein müsste. Dass da nicht einzelne Menschen den Helden spielen müssen und dann nachher als Bedenkenträger abgestempelt werden, sondern dass es im Projekt einfach einen Punkt „Risikomanagement / Risikocontrolling“ gäbe, wo das gesamte Projekt aufgefordert ist zu gucken: Welche Nebenwirkungen sind es? Was kann daraus folgen? Sind wir bereit, das einzugehen?

Ja genau.

Aber auch das mit der Technik: Sie können sich nicht vorstellen, wie viel Zeit ich damit verbringe, in diesem Projektlaufwerk Dinge zu suchen. Ein kompetentes Projektmanagement wäre hilfreich.

…vielleicht nochmal zurück zum Thema Macht. Sie hatten ja gesagt, dass Macht insofern ein Faktor ist, weil das Interessengeflecht im Unternehmen von solchen Veränderungsprojekten immer berührt ist. Wie können sich denn Change Agents Macht besorgen, damit sie da auch bestehen können?

Über einen formalisierten Auftrag, so ist es zumindest bei uns nie verkehrt, damit ausgestattet zu sein. So „mit Amt und Würden und Uniform“, metaphorisch gesehen.

Und dann brauchen die auch eine entsprechende Persönlichkeit. Aus meiner Sicht sind das auch Personen, die nach oben und nach unten kommunizieren können. Das hat ja auch mit Vertrauen zu tun.

…das finde ich jetzt überraschend! Bei Persönlichkeit und Macht hätte ich jetzt erwartet: „Das müssen Machtmenschen sein, die nach vorne drängeln, die nicht auf jeden Rücksicht nehmen…“ Aber sie betonen jetzt wieder das Brückenbauen…

Die brauchen natürlich schon eine Machtmotivation. Nur empathisch eingestellt sein, wird auch keinen Erfolg bringen. Allerdings ist mein Erleben, wenn Macht zu sehr ausgeprägt ist, dann wird das Thema „Motivation“ vernachlässigt. Dann geht man halt über Leichen.

Oft haben die Personen ein Team, das sie sich nicht selbst zusammengestellt haben. Man muss mit dem arbeiten, was man hat.

…die sozialen Fähigkeiten sind dringend notwendig, weil… ja aus fachlichen Voraussetzungen oft bestimmte Leute da mitmachen müssen, ob die einem passen oder nicht..

Da ist aus meiner Sicht ein Mix notwendig. Macht ist notwendig, weil man sich sonst nicht durchsetzen wird. Und da gibt es Widerstände, mit denen muss man leben. So jemand muss sich aus meiner Sicht wertschätzend verhalten, aber er muss es auch ertragen, dass er in dem Moment von den meisten Menschen gerade nicht gemocht wird.

…also so eine persönliche Eigenständigkeit, nicht abhängig sein von dem Bild, was andere einem spiegeln, zumindest vorübergehend?

Ja, vorübergehend. Es gibt ja den anderen Ausschlag, auf der anderen Seite vom Pferd gefallen: „Es ist mir alles egal.“ Eine gewisse Selbstreflexion ist auf jeden Fall hilfreich. Aber die darf nicht zu oberkritisch sein – der würde ja an Selbstzweifeln zugrunde gehen. Es gibt immer wieder Erfahrungen im Projekt, wo noch nicht das Licht am Ende des Tunnels erkennbar ist, oder man sich entschieden hat, die Nachteile in Kauf zu nehmen zugunsten von Vorteilen, die aber momentan noch nicht sichtbar sind. Da ist eine Durststrecke zu überwinden.

Oder wenn ich jemand im Projekt sitzen habe, wo ich erkenne, der wird durch dieses Projekt nicht gewinnen, dann muss ich damit umgehen, dass diese Person vielleicht nicht alles einbringen wird, um den eigenen Stuhl abzusägen. Was ja auch nachvollziehbar ist.

Vielleicht noch zwei, drei Sachen, die noch wichtig sind: Was immer wieder falsch gemacht wird oder suboptimal: Es gibt einen prima Auftakt und dann passiert lange nichts. Die Abstände sind oft zu lang. Mein subjektiver Eindruck ist, dass es besser ist, etwas zu tun als darauf zu warten, wann man denn nun endlich startet mit der großen Veränderung. Dieses Warten darauf erzeugt aus meiner Sicht mehr Unsicherheit, als wenn die Leute im Handeln sind.

Es macht Sinn, immer wieder zu sagen: Wo stehen wir denn hier? Die Schritte auch zu unterteilen. Eine Vorausschau auf zwei, drei, vier Jahre fällt vielen schwer. Aus meiner Erfahrung waren eben Projekte leichter, die ein bisschen absehbarer waren. Man kann das in Teilprojekte einteilen oder Meilensteine: Also die erste Etappe, die sieht so aus. Die zweite Etappe der Tour der France ist das und das. Ich glaube, das gibt auch noch mal zusätzlich eine Orientierung.

…es macht den Kontrollverlust auch geringer. Ob man denkt: „Hilfe, es ändert sich was, es hat angefangen, aber ich weiß nicht, was noch passiert.“ Oder man weiß, es hat angefangen und es sind vier Etappen geplant und wir sind jetzt bei der zweiten. Das ist ein ganz anderes Gefühl von Kontrollierbarkeit.

So ein Kontroll- und Orientierungsempfinden, das ganz wesentlich ist. Und da geht es nicht um die viele Arbeit. Aber aus meiner Sicht ist es das nicht, wenn ich weiß, wieso ich das mache und wie lange das eben geht und was dann dabei rauskommt.

Da ist auch eine hohe Bereitschaft, mal einen Samstag zu kommen, um Sachen zu machen. Man hat ja auch positive Erlebnisse wie ein Gemeinschaftsgefühl, man hat was geschafft, man sieht, dass was passiert. Man erlebt ja auch einen Fortschritt. Wenn das nicht die nächsten Wochen so anhält und man jeden Samstag da sitzt, dann ist das etwas, was die Leute auch unter einer ganz anderen Kategorie verbuchen.

…d.h. wenn man das richtig macht, also eine Orientierung bietet und den Kontrollverlust eindämmt, dann wird man im Erleben auch frei für positive Erlebnisse, man sieht, dass man voran kommt und dass man auch nicht alleine ist?

Ja, das ist dann wieder eine Ressource.

Und noch so ein Punkt, was ich bei Projekten hier vermisse: Wie gehen wir auch mit Erfolgen um? Auch sich mal auf die Schulter klopfen, um auch da noch mal eine Ressource zu heben. Zu sagen: „Jawohl, es ist viel, es ist anstrengend, es ist eine Parallelbelastung und und und… Aber hier immer wieder eine Standortbestimmung und Rückbezug. Da sind wir auch schon ein paar Schritte gegangen, wir haben schon etwas bewirkt!“

Einen herzlichen Dank für das Interview!

Über den Autor

Sabine Neugebauer
Von Sabine Neugebauer

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