Homeoffice und die Big 5

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Irgendwann werden wir die Krise überwunden haben und nach und nach zu unserem alltäglichen Leben übergehen. In Abhängigkeit davon, wie lange die aktuellen Maßnahmen der sozialen Isolierung andauern, werden wir gesellschaftlich und wirtschaftlich einige Punkte unseres Lebens neu diskutieren: Ist es wirklich notwendig, dass wir täglich 90 Minuten zur Arbeitsstätte und zurück pendeln? Müssen wir für jeden Weg das Auto nutzen? Fördert das Homeoffice nicht ohnehin die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowohl für Mütter als auch für Väter? Hat die zwangsläufige Digitalisierung in der Krisenzeit nicht automatisch dafür gesorgt, dass viele Arbeiten viel flexibler erledigt werden können?

Das Thema Homeoffice ist in vielen Bereichen zu einer Notwendigkeit geworden. Derzeit wird viel über mögliche Vor- und Nachteile diskutiert, auch auf individueller Ebene. Wir wollen eines der bekanntesten Persönlichkeitsmodelle zugrunde legen und daran veranschaulichen, wer vom Homeoffice profitiert und für wen es nachteilig ist.

Das Fünf-Faktoren-Modell der Persönlichkeit

Das Fünf-Faktoren-Modell (nach Costa und McCrae) geht grundsätzlich davon aus, dass die Persönlichkeit eines Menschen durch fünf verschiedene, unabhängige Persönlichkeitseigenschaften (sog. Traits) beschrieben werden kann. Bei erwachsenen Personen gelten Traits als stabil und überdauernd. Dies bedeutet, dass die persönliche Ausprägung einer Eigenschaft auch über verschiedene Situationen, Krisen, Stimmungen und Herausforderungen hinweg erhalten bleibt. Ganz konkret: Ist jemand hoch extravertiert, also gesellig, herzlich, aktiv und erlebnishungrig, so zeigt er ein solches Verhalten dauerhaft.

Neben Extraversion beinhaltet das Modell weitere Eigenschaften: Neurotizismus, Offenheit für Erfahrungen, Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit. Was diese Eigenschaften im Einzelnen bedeuten und welchen Zusammenhang es zum Umgang mit dem Homeoffice gibt, wollen wir nun erläutern.

Fünf Persönlichkeitseigenschaften und ihr Bezug zum Homeoffice

Beginnen wir mit Extraversion

Wie bereits beschrieben, sind extravertierte Personen herzlich und gesellig. Sie gelten als durchsetzungsfähig, da sie selbstsicher auftreten und erlebnishungrig sind. Dazu erleben sie eher positive Emotionen. Extravertierte Personen benötigen Stimulation von außen und genießen Inspiration durch ihre Mitmenschen. Hoch extravertierte Personen werden sicherlich auch im Homeoffice die Möglichkeiten des sozialen Austauschs nutzen und ihre Selbstsicherheit in Online-Konferenzen ausspielen können. Für ihr persönliches Wohlbefinden benötigen sie jedoch auch den persönlichen Kontakt. Denn erst durch spontane Plaudereien, Späße in der Kaffeepause und Face-to-face Diskussionen in Meetings entfalten sie ihr ganzes Potential und erreichen durch diese sozialen Reize ihr optimales Funktionsniveau.

Dem gegenüber stehen introvertierte Personen. Introvertierte brauchen weniger Reize und Stimulierung von außen, also auch weniger Kontakt zu anderen Menschen – sie fühlen sich mit sich alleine wohl. Die Biologische Theorie nach Eysenck geht davon aus, dass Introvertierte von Natur aus ein höheres Aktivierungsniveau innehaben, zusätzliche Inputs und Reize führen bei ihnen zu einer „Überstimulierung“, die sich negativ auf ihr Wohlbefinden und ihre Leistungsfähigkeit auswirkt. Introvertierte profitieren demnach vom Homeoffice, da sie dort mehr Ruhe haben und sich besser auf ihre eigene Planung und ihre eigenen Ideen besinnen können.

Weiter geht es mit Offenheit für Erfahrungen

Personen mit hohen Werten zeichnen sich durch Offenheit gegenüber ihrer Phantasie sowie gegenüber ästhetischen Eindrücken und Gefühlen aus. Sie probieren gerne neue Dinge aus und mögen es, kreativen Ideen zu folgen. Solche Personen sind generell eher bereit, Veränderungen zu akzeptieren und neue Möglichkeiten auszuprobieren. Das motiviert sie geradezu! Sie stehen den digitalen Lösungen weniger skeptisch gegenüber und können die Vorteile, die sich aus dem Homeoffice ergeben, antizipieren und wertschätzen.

Personen, die weniger offen für neue Erfahrungen sind, stehen einer Veränderung ihrer Arbeitswelt nicht so aufgeschlossen gegenüber. Sie wünschen sich eher eine Rückkehr zum gewohnten Gang der Dinge. Diese Personen tun sich auch jetzt schwer, die notwendigen Anstrengungen im Zuge der Digitalisierung der Arbeit aufzubringen und sich auf das neue Arbeitsmodell einzulassen.

Schauen wir uns die Eigenschaft Gewissenhaftigkeit an

Hoch gewissenhafte Personen sind von ihrer Kompetenz überzeugt, sie mögen Ordnung und Planung, sind pflichtbewusst und zeichnen sich durch ein hohes Leistungsstreben aus. Sie sind selbstdiszipliniert und besonnen. Es erklärt sich eigentlich von selbst, dass hoch gewissenhafte Personen die perfekten Homeoffice-Kandidaten sind, denn hier kommen viele günstige Voraussetzungen zusammen: 

  • Selbstdiszipliniert arbeiten,
  • sich nicht erst um 12 Uhr mittags im Schlafanzug an die Arbeit machen;
  • einen eigenen Plan entwerfen und sich strukturiert danach richten;
  • auch zuhause die Arbeitsmittel ordentlich halten;
  • auch ohne Kontrolle nach dem besten Ergebnis streben.

Wer gewissenhaft ist, ist beim Thema Homeoffice klar im Vorteil! Für wenig gewissenhafte Personen birgt das Homeoffice ein großes Risiko – Dinge vergessen, liegen lassen, ein unstrukturiertes Vorgehen, Schwierigkeiten bei der Selbstmotivation und hektisches Handeln unter Zeitdruck sind nur einige Beispiele dafür, dass wenig gewissenhafte Personen besser in einem klassischen Büro arbeiten.

Weniger eindeutig ist die Lage bei den verbleibenden Eigenschaften.

Wie sieht es mit Neurotizismus aus?

Personen mit einem hohen Neurotizismuswert gelten als ängstlich, und reizbar, sie neigen zu negativen Emotionen oder sogar Depressivität, sind sozial befangen, impulsiv und verletzlich. Menschen mit einer geringen Neurotizismusausprägung gelten als emotional stabil. Personen mit hohen Neurotizismuswerten können also vom Homeoffice profitieren, da ihre Befangenheit und Ängstlichkeit in sozialen Situationen weniger Einfluss auf die berufliche Leistung nehmen kann. Auch sind sie weniger gestresst oder verletzbar, wenn sie sich nicht mit Arbeitskollegen auseinandersetzen müssen, was sie subjektiv als negativ empfinden. Der soziale Rückzug bietet also hier einen Vorteil. Andersherum kann es aber auch sein, dass die soziale Isolierung zu mehr Unsicherheit führt. Möglicherweise fehlen regelmäßige Rückmeldungen und Bestätigungen über den Arbeitsprozess, sodass sich emotional labile Personen im Homeoffice noch unsicherer und ängstlicher fühlen.

die (soziale) Verträglichkeit

Die letzte Eigenschaft des Fünf-Faktoren-Modells ist die (soziale) Verträglichkeit. Hoch verträgliche Menschen haben Vertrauen in andere, sind freimütig, verhalten sich prosozial und entgegenkommend, sind bescheiden und gutherzig. Solche verträgliche Persönlichkeiten arbeiten gerne mit anderen zusammen im Team, sie lehnen Konkurrenzkämpfe ab und gehen auch nicht davon aus, dass andere ihnen etwas Böses wollen oder sie ausnutzen. Personen mit hohen Verträglichkeitswerten sind die optimalen Teamplayer, und das sind sie sicherlich auch im Homeoffice. Allerdings profitiert eine Arbeitsgruppe natürlich auch davon, diese Personen um sich zu haben und persönliche Kontakte zu pflegen. Es stellt sich also die Frage, ob man soziale verträgliche Menschen überhaupt dauerhaft ins Homeoffice schicken möchte.

Die Mischung macht’s

Natürlich ist keine Person nur sozial verträglich oder ausschließlich introvertiert. Wir haben von allen Eigenschaften jeweils ein bisschen in uns, jeder individuell anders ausgeprägt. Vielleicht kann dieser Artikel Ihnen helfen, sich besser zu verstehen und sich im Homeoffice gut zu unterstützen!

Die Entscheidung, mehr oder länger im Homeoffice zu arbeiten, hängt natürlich auch noch von anderen Faktoren, wie der Wohnsituation, der familiären Situation und primär auch von der Arbeitstätigkeit ab. Am Ende kommt es auf die Mischung an – auf die Mischung an Persönlichkeitseigenschaften, die Mischung der Umgebungsfaktoren sowie auf die Mischung an Heim- und Präsenzarbeit.

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Prof. Dr. Nora Walter

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