Betriebliche Suchtprävention

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Grundriss eines betrieblichen Suchtpräventionskonzepts (Teil 2)

Im ersten Teil dieses Beitrags (hier geht es zu Teil 1 ) haben wir Sie über allgemeine Zahlen und Fakten rund um das Thema Konsum, Abhängigkeiten und Sucht informiert. Sie haben erfahren,

  • durch welche Kriterien Abhängigkeitserkrankungen definiert sind,
  • an welchen Beobachtungsmerkmalen Konsumprobleme im privaten und betrieblichen Kontext identifizierbar sind und
  • welche rechtliche Rahmenbedingungen Einfluss auf den Umgang von Unternehmen mit Konsumproblemen der Mitarbeiter einwirken.

In diesem Teil wollen wir einen Blick auf die Ausgestaltung und Inhalte eines Betrieblichen Suchtpräventionskonzepts werden. Ich skizziere wesentliche Bausteine und wichtige Akteure der Betrieblichen Suchtprävention und liefere erste Hinweise für den Umgang im konkreten Bedarfsfall.

Die wichtigsten Bausteine

Laut einer Studie der DAK/ forsa (Drogen- und Suchtbericht, 2019), liegt bei etwa 11-11,5% der Beschäftigten in Deutschland ein mindestens riskanter, wenn nicht gar schädlicher oder abhängiger Alkoholkonsum vor. Dieser Anteil bzw. die Zahl der tatsächlich Betroffenen ist hoch, bedeutet jedoch auch: Etwa 70% der Beschäftigten konsumiert Alkohol in einem verantwortungsbewussten und nicht gesundheitsschädlichem Ausmaß, ca. 20% konsumieren sogar gar keinen Alkohol. Diese Einteilung lässt sich grob auch auf andere Sucht- und Konsummittel übertragen: Viele Personen konsumieren (z.B. Glücksspiele oder Cannabis) und nur ein gewisser Anteil derer zeigt schließlich einen missbräuchlichen Konsum oder Anzeichen einer Abhängigkeit.

Für die Betriebliche Suchtprävention bedeutet das:

  • Im Rahmen der Betrieblichen Suchtprävention findet keine Diagnose und keine Therapie statt
  • Die Betriebliche Suchtprävention beinhaltet Bausteine für den Umgang mit Beschäftigten mit riskantem oder abhängigem Konsum, ist aber hauptsächlich nicht auf eine Suchtkrankenhilfe ausgerichtet
  • Der Hauptbestandteil bezieht sich eben auf die Prävention, also auf die Vorbeugung und Verhinderung von Konsumproblemen und den negativen Konsequenzen, die daraus für das Arbeitsverhalten, das Team, den Betrieb und die betroffene Person im Allgemeinen entstehen können

Ein Betriebliches Suchtpräventionskonzept verfolgt daher folgende Ziele: Aufklären und Informieren, Sensibilisieren, Qualifizieren, Unsicherheiten abbauen und eine Kultur des Hinsehens und der Unterstützung im Betrieb etablieren.

Informieren, Sensibilisieren Qualifizieren Hilfe im konkreten Fall
Informationsmaterial

 

Schulungen

Führungskräfte

Ansprechpersonen

Hinschauen statt Wegschauen

 

Gesundheitsaktionen Seminare für Teams Gesprächsführung
Sucht als Betriebliches Thema/ Bestandteil des BGM Strukturen schaffen Interne Beratung für Betroffene und Kollegen/ Mitarbeiter
Interventionsleitfäden erstellen Vermittlung in professionelle Hilfe

(Quelle der Tabelle: Walter, 2020).

Je nach Baustein sind unterschiedliche Akteure in der Betrieblichen Suchtprävention aktiv: Die Unternehmensführung, Mitarbeiter des Betrieblichen Gesundheitsmanagements, evtl. explizit Beauftragte der Betrieblichen Suchtprävention, Mitarbeiter kooperierender Beratungsstellen, die Personalabteilung, Personalvertretung, der Betriebsrat, Gleichstellungsbeauftragte, Führungskräfte und letztlich jeder Beschäftigte selbst.

Informieren und Sensibilisieren

Übergeordnet sollte das Suchtpräventionsprogramm in das Unternehmensleitbild sowie in bestehende betriebliche Strukturen eingegliedert werden. Den verbindlichen, rechtssicheren Rahmen des Betrieblichen Suchtpräventionsprogramms liefert schließlich eine Betriebs- bzw. Dienstvereinbarung (BV/ DV) zwischen der Unternehmens- bzw. Dienststellenleitung und der Personalvertretung. Eine solche BV/ DV bietet viele Vorteile zur Handlungssicherheit bei der Umsetzung des Suchtpräventionskonzepts. In der Präambel der Vereinbarung wird die Suchtprävention als Teil der Unternehmensphilosophie benannt und der Leitgedanke und wesentliche Ziele aufgeführt. Die schriftlich festgehaltene Vernetzung und Zusammenarbeit mit bestehenden betrieblichen Strukturen sorgt für weitere Handlungssicherheit. So kann das Suchtpräventionsprogramm in ein bereits bestehendes Betriebliches Gesundheitsmanagement integriert werden. Eine weitere sinnvolle Vernetzung besteht in der Zusammenarbeit mit dem betrieblichen Arbeitsschutz. Suchtprävention und Arbeitsschutz verfolgen häufig gemeinsame Ziele (z.B. Verhütung von alkoholbedingten Arbeitsunfällen), daher sollten ihre Akteure eng miteinander kooperieren. So können gemeinsame betriebliche Aktionen (z.B. bei Gesundheitstagen) durchgeführt werden, jedoch sollte darauf geachtet werden, dass die unterschiedlichen Rollen und Zuständigkeiten geklärt und auch für die Beschäftigten transparent sind. So liegt z.B. die Kontrolle des Nichtraucherschutzes bei der Fachkraft für Arbeitssicherheit, die betriebliche Suchtprävention ist dagegen zuständig für die Aufklärung über Folgen des Nikotinkonsums und für die Organisation von Nichtrauchertrainings.

Um möglichst viele Beschäftigte auf sämtlichen Unternehmensebenen für das Thema Sucht zu sensibilisieren, bieten sich z.B. Vorträge, Diskussionsrunden oder Infostände im Rahmen von Gesundheits- oder Projekttagen an. Auch könnten Informationsschulungen online beispielsweise im Rahmen der Arbeitssicherheitsschulungen  durchgeführt werden.

Wichtige Inhalte sind hier:

  • Was sind Suchtmittel?
  • Wie entsteht eine Abhängigkeit?
  • Woran erkenne ich riskantes Konsumverhalten bei mir selbst und bei anderen?
  • Zeige ich Anzeichen riskanten Konsumverhaltens?
  • Wo bekomme ich als Betroffener oder Angehöriger Hilfe?

 

Qualifizieren

Der Baustein der Qualifikation hat im Wesentlichen zwei Anknüpfungspunkte: Die Mitarbeiter im Betrieblichen Gesundheitsmanagement bzw. benannte Ansprechpersonen innerhalb des Unternehmens und die Führungskräfte.

Mitarbeiter des Betrieblichen Gesundheitsmanagements bzw. anderweitig benannte Ansprechpersonen sollten spezifisch für den Bereich Konsum und Sucht zu folgenden Punkte geschult werden:

  • Interventionsmöglichkeiten im betrieblichen Kontext im Bedarfsfall
  • Erstellung von Interventionsleitfäden
  • Aufbau von Kooperation mit externen Beratungsstellen oder Dienstleistern

Eine besondere Rolle kommt den Führungskräften bzw. den Personalverantwortlichen eines Unternehmens zu (Rehwald et al., 2008). Diese besondere Rolle entspringt den Verantwortungsbereichen der Arbeitssicherheit und der Personalführung.

  • Zur Arbeitssicherheit: Die Führungskraft haftet in ihrem Verantwortungsbereich für die Arbeitssicherheit. Daraus ergibt sich die Pflicht für die Führungskraft, den Beschäftigten z.B. bei riskantem Alkoholkonsum aus dem Gefahrenbereich zu entfernen.
  • Zur Personalführung: Die Führungskraft ist für die Gestaltung eines guten Arbeitsklimas sowie die Förderung der Zusammenarbeit, Kommunikation und der sozialen Unterstützung verantwortlich.

Es ist die Aufgabe des direkten Vorgesetzten, Merkmale risikoreichen Suchtmittelkonsums zu identifizieren, Hinweise aus dem kollegialen Umfeld wahrzunehmen (siehe Teil 1 des Beitrags), sich den Gefahren des Co-Verhaltens (stets gut gemeinte Verhaltensweisen von Vorgesetzten und Kollegen, wie beispielsweise das Ausbügeln oder Vertuschen von Fehlern, die jedoch langfristig die Problemeinsicht und Veränderungsmotivation des Betroffenen verhindern) bewusst zu sein, den Betroffenen aktiv anzusprechen und gezielte Interventionsgespräche nach dem Stufenplan (siehe unten) zu führen.

Qualifizierungsmaßnahmen in diesem Bereich können in Form von Seminaren oder Einzel- bzw. Gruppencoachings stattfinden. Auch hier bietet sich die Durchführung sowohl in Präsenz als auch in Webinaren oder Online-Coachings an.

Wichtige Inhalte sind hier:

  • Worin liegt der Verantwortungsbereich?
  • Wie gehe ich mit eigenen bzw. fremden Beobachtungen zu diesem Thema um?
  • Wie spreche ich den betroffenen Mitarbeiter bei Auffälligkeiten an?
  • Wie spreche ich das Thema im Allgemeinen innerhalb des Teams an?
  • Wie verlaufen Interventionsgespräche bestenfalls, um eine Veränderung bei dem betroffenen Mitarbeiter auszulösen?
  • Wie verlaufen Interventionsgespräche bestenfalls, um aus Sicht des Unternehmens auf der sicheren Seite im Zuge von Abmahnungen und Kündigungsverfahren zu sein? Wie verhindere ich diese negativen Konsequenzen durch Gespräche?

 

Hilfe im konkreten Fall

Ein übergeordnetes Ziel der Betrieblichen Suchtprävention ist, eine Kultur des Hinschauens statt des Wegschauens zu schaffen. „Hinschauen“ bedeutet in diesem Zusammenhang selbstverständlich nicht nur die aktive Beobachtung von Auffälligkeiten, sondern auch eine anschließende Kommunikation.

Grundsätzlich gilt: Sprechen Sie MIT der betroffenen Person, nicht ÜBER sie. Der Leitfaden der Gesprächsführung nach dem KLAR-Konzept kann hier helfen:

Konsequent Auffälligkeit  und Fehlverhalten klar und eindeutig ansprechen

Konkrete Änderungen, Regeln und Pläne vereinbaren

Konsequenzen für zukünftiges Fehlverhalten aufzeigen und anwenden

Mitleid ist der falsche Weg

Loslassen Das Problem erkennen und akzeptieren

Verantwortung an den Betroffenen zurückgeben

Veränderungsschritte muss der Betroffene selbst einleiten

Unterstützung für den Veränderungsprozess zusichern

Abgrenzen Die Entscheidung muss der Betroffene selbst treffen

Der Betroffene legt sein Ziel selbst fest

Sie führen das Gespräch aus Ihrer Rolle als Vorgesetzter oder Kollege mit einem klaren Auftrag. Sie sind kein Angehöriger oder Freund.

Vertrauen und Glaube an die Möglichkeiten und Stärken des Betroffenen äußern

Reden

Ruhe

Reden Sie mit nicht über die betroffene Person

Suchen Sie ggf. selbst Beratung und Hilfe auf

Bleiben Sie ruhig

Lassen Sie sich nicht auf emotionale Diskussionen ein, argumentieren Sie auf der Sachebene

 

Im konkreten Bedarfsfall muss der Vorgesetzte Mitarbeiter- und Interventionsgespräche führen (RKW, 2013). Ein zentraler Bestandteil des Suchtpräventionskonzepts ist ein Leitfaden für Vorgesetzte für das Führen von Interventionsgesprächen nach einem festgelegten Stufenplan. Diese Gespräche bauen schrittweise aufeinander auf und verlaufen (im ungünstigsten Fall) von einem persönlichen Fürsorgegespräch zwischen vier Augen bis hin zur Einleitung des Kündigungsverfahrens.

Diese Gespräche sollten möglichst früh, schon bei den ersten Auffälligkeiten, durchgeführt werden, um drastische Konsequenzen, wie Abmahnungen oder gar Kündigungen verhindern zu können. Gespräche nach dem Stufenverfahren haben sich hier besonders bewährt, da folgende Ziele erreicht werden können:

  • Möglichst frühe Konfrontation des Betroffenen mit den beobachteten Auffälligkeiten
  • Kommunikation der Erwartungen an das zukünftige Verhalten
  • Aufzeigen möglicher Konsequenzen bei weiterem Fehlverhalten
  • Anbieten von Hilfen und Erarbeiten von Perspektiven innerhalb des Unternehmens

(Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen, DHS, Wienemann & Schumann, 2011)

Interventionsgespräche laufen üblicherweise nach folgendem Schema ab:

Fürsorgegespräch

 

Bei ersten Auffälligkeiten

Unterstützung signalisieren, frühzeitig eingreifen

vertraulich

Klärungsgespräch

 

Bei Vernachlässigung arbeitsvertraglicher Pflichten

Erwartungen benennen, Unterstützungsangebote zeigen

vertraulich

1. und 2. Interventionsgespräch

 

Bei ersten und weiteren Auffälligkeiten in Verbindung mit Suchtmittelkonsum

Verhaltensänderung anstoßen, Konfrontation

Chance zur Verbesserung

3. und 4. Interventionsgespräch

 

Beim nächsten Vorfall, wenn keine positive Veränderung eintritt

Deutliche Konfrontation und Verdeutlichung der Arbeitsplatzgefährdung

5. Interventionsgespräch

 

Bei erneutem Vorfall

Verdeutlichung, dass Arbeitsplatz nur erhalten werden kann, wenn Therapie aufgesucht wird

(Schematische Darstellung eines Stufenplans für Interventionsgespräche nach Rehwald, Reineke, Wienemann & Zinke, 2012)

Für Hilfe und Unterstützung in der Implementierung eines Betrieblichen Suchtpräventionskozepts bzw. bei der Durchführung von Coachings, Seminaren oder Interventionsgesprächen, sprechen Sie uns gerne an.

 

Literatur:

Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung (Hrsg.).  Drogen- und Suchtbericht 2019. Berlin: Bundesministerium für Gesundheit.

Rehwald,, R., Reineke, G., Wienemann, E. & Zinke, E. (2008). Betriebliche Suchtprävention und Suchthilfe. Ein Ratgeber. Frankfurt am Main: Bund Verlag.

RKW Rationalisierungs- und Innovationszentrum der Deutschen Wirtschaft e.V. (Hrsg.). Betriebsgeheimnis Sucht. Warum Wegschauen kostet. Faktenblätter Gesundheit im Betrieb – 1/2013.

Walter, N. (2020): Betriebliche Suchtprävention, in: David Matusiewicz, Claudia Kardys, Volker Nürnberg (Hrsg.), Betriebliches Gesundheitsmanagement: analog und digital, S. 100-106, Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Berlin, ISBN: 978-3-95466-506-8

Wienemann, E. & Schumann, G.  (2011). Qualitätsstandards in der betrieblichen Suchtprävention und Suchthilfe der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS). Ein Leitfaden für die Praxis (2. Auflage).  Berlin/ Hamm: Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V.

 

Über den Autor

Prof. Dr. Nora Walter

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