Die Angst des Chefs vor dem Rückkehr-Gespräch

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Thema: Rückkehr an den Arbeitsplatz

Wenn im Führungscoaching das Rückkehr-Gespräch thematisiert wird, überwiegen die Bedenken: „Das ist mir zu riskant, ich will den Mitarbeiter nicht verschrecken.“ „Ich führe solche Gespräche nur, wenn ich muss.“ „Die Mitarbeiter sind doch erwachsen…“

Also lässt man es einfach bleiben… wenn da nicht doch die eine oder andere ärgerliche Situation wäre, für die es irgendwie keine einfache Lösung gibt.

Ärgerliche Situationen

Was mache ich als Teamleitung, wenn bestimmte Mitarbeitende scheinbar immer dann ausfallen, wenn viel zu tun ist? Dann muss ich die Arbeit umverteilen – und wie kann ich  geschickt das Team motivieren, das ich ja zusätzlich belasten muss? Wie reagiere ich auf die vertrauliche Mitteilung eines Teammitglieds, eine Kollegin hätte angekündigt „ihre Grippe zu nehmen“, wenn der Stress anhalte? Wie auf die zweite langwierige Krankmeldung eines jungen Mitarbeiters in diesem Jahr aufgrund einer Sportverletzung? Oder auf den wiederholten Ausfall einer Erziehungsperson wegen erkrankter Kinder? Und wenn am Tag nach einem Kritikgespräch die elektronische Krankmeldung im Postfach liegt?

Auch Personalabteilungen sind betroffen, obwohl sie weiter weg vom Geschehen sind. Sie erleben, dass bestimmte Abteilungen immer mit neuen Personalwünschen kommen, obwohl das Personalbudget ausgereizt ist, und dabei partout nicht auf ihre hohen Fehlzeiten gucken wollen.

Das Erleben von Ohnmacht

Zentral im Erleben ist das Gefühl von Ohnmacht. „Ich bin negativ betroffen, aber ich kann nichts dagegen tun!“, so fühlt es sich für Führungskräfte wie für Personaler an. Deshalb kann ich den Wunsch gut nachvollziehen, es gäbe ein Gesprächsformat oder ein PE-Instrument, was einen schnell und sauber aus dieser unangenehmen Situation befreit. Etwas, mit dem man die Situation im wahrsten Sinne des Wortes wieder in den Griff bekommt.

Mann im Nebel vor einer Geistersilhouette
Fotolizenz Pixabay 2020, (c) Stefan Keller

Kontrolle wiederherstellen

Da liegt der Gedanke nah, sich den „Pappenheimer“ mal einzubestellen und ihm das eigene Missfallen kundzutun. Ob ehrlich und damit meist politisch unkorrekt oder kommunikativ weichgespült – das gibt zumindest kurzfristig das gute Gefühl, man habe jetzt wenigstens mal etwas getan. Ähnlich sehe ich die flächendeckende Verpflichtung aller Führungskräfte zu Rückkehr-Gesprächen als eine Art Notwehr der Personalabteilung. Doch hilft das wirklich? Oder nährt es nur eine Kontroll-Illusion?

Bagatellisierung und Verdrängung

Auch eine coole und tolerante Fassade bringt nicht viel weiter. Dem Mitarbeiter zu vertrauen ist eine gute Sache, wenn das auf einem guten Kontakt basiert. Doch da liegt ja meistens das Problem. Ansonsten ist es nur wegschauen und verdrängen. Der Chef lässt es laufen – welches Signal sendet das aus? „Da kann ich es mir doch auch so leicht machen wie der häufig fehlende Kollege“, so könnten Mitarbeitende denken.

Psychologisch gesehen sind das Abwehrmechanismen. Das Unbewusste stellt intern die heile Welt wieder her und gaukelt uns vor, wir könnten unsere Umwelt kontrollieren. So verlieren wir zumindest nicht zusätzlich noch Kräfte, allerdings im Außen ändert sich nichts.

Was wäre denn eine psychologisch „reife“ Reaktion? Sie müsste die Erfahrung von Ohnmacht anerkennen, und auch die Kränkung, die uns damit zugemutet wird.

Erfahrung von Kontrollverlust annehmen

Das ist gerade für machtorientierte Führungskräfte eine bittere Pille: „Ich habe die Leitung, aber der häufig fehlende Mitarbeiter hat die Macht, jedesmal wieder meine Planung über den Haufen zu werfen.“ Das ist hart. Jedoch nimmt es viel Druck aus der Situation, wenn man sie so anerkennt.

Verantwortlichkeit sortieren

Nun kann die Führungskraft gelassen und rationaler sortieren, was in dieser Situation ihr Job ist: wofür ist sie verantwortlich, wofür aber auch nicht? Als Coach finde ich es wichtig, auf eine mögliche „Überverantwortlichkeit“ hinzuweisen und dem Coachee zu helfen, diesen Ballast loszuwerden, denn er lähmt.

Ein paar Beispiele:

  • Es ist kein Führungsversagen, wenn einige Mitarbeitende eine stabilere Gesundheit haben und andere eben nicht.
  • Auch wenn einige Ärzte scheinbar locker mit Krankschreibungen umgehen, tangiert das nicht die Verantwortung der Leitung.
  • Dass bei leichter Erkrankung gleich ganz krankgeschrieben wird, weil es in Deutschland (noch) keine Halbtags-Krankschreibung gibt, liegt auch nicht in der Zuständigkeit eines Chefs.

Vorantwortlich sind dabei die jeweiligen Beschäftigten, bzw. die Ärzte oder die Gesundheitspolitik.

Fokus auf die eigenen Möglichkeiten

Es bleibt einiges, was Job der Führungskraft in Bezug auf Fehlzeiten ist:

  • Mitarbeiter wahrnehmen und Kontakt halten
  • Perspektiven erweitern, um Problemlösungen zu finden
  • Leistungskultur und Stresskompetenz im Team beeinflussen

Beziehung statt Einmal-Gespräch

Oft fällt auf, wenn man sich über ein fehlendes Teammitglied ärgert, dass man keinen guten Kontakt zu ihm hat. Wie ist seine Arbeitssituation? Wie geht es ihm? Dann ist der erste Schritt – auch völlig unabhängig von Fehlzeiten! – die Beziehung zu diesem Mitarbeiter zu stärken. Da geht es um Führungsverhalten, was in jedem Seminar gepredigt, aber in der Praxis doch seltener anzutreffen ist, nämlich zuhören und fragen. So kann der Chef die Sichtweise des Mitarbeiters auf seine Arbeitssituation kennenlernen.

Verständnis Zeigen, aber auch einfordern

Im Gegenzug ist es wichtig, auch die Perspektive der Führungskraft dazulegen. Was braucht die Firma? Dieser Gedanke ist nicht jedem Beschäftigten selbstverständlich. Aus meiner Erfahrung rate ich dazu, weniger mit moralischen Zeigefinger und Controllingkennzahlen, sondern aus dem persönlichen Erleben zu erzählen. Wie schwer ist es, mit dem Personalbudget zurechtzukommen. Wie unangenehm es ist, die Mehrarbeit im Team weiter zu verteilen. Welche Gedanken man sich macht, um zu einer gerechten Arbeitsverteilung zu kommen oder wie die Arbeitsbedingungen verbessert werden können.

Ein gut gemeintes „Wir brauchen Sie hier“ ist leider oft schnell wieder vergessen. „Den Freitagabend saß ich zuhause und hab über eine Vertretungsregelung nachgedacht.“ „Es ist mir schon schwergefallen, dem Meier wieder den freien Nachmittag zu streichen.“ Solche konkreten und persönlichen Berichte dringen eher durch. Wohlgemerkt: es darf – auch im Unterton – kein „Sie sind schuld!“ enthalten sein.

mehr zu „Fordern ohne Härte“ hier

Grundlage für Problemlösungen

Wenn die Sichtweisen ausgetauscht sind, gibt es eine gute Grundlage Verbesserungen zu suchen, die beiden Perspektiven gerecht werden. Das sollte auch gemeinsam erfolgen, d.h. eine Beteiligung des Mitarbeiters kann eingefordert werden. Ich empfehle, den Lösungsraum weit zu denken:

  • Gibt es betriebliche Umstände, die krankmachend wirken?
  • Was können wir hier im Arbeitsumfeld ändern, damit Sie weniger krank sind?
  • Was können Sie tun, damit Sie länger gesund bleiben?
  • Welche Stress verstärkenden Einstellungen können verändert werden?
  • Wie kann die Arbeit im Team anders organisiert werden, damit unvermeidliche Krankheitsausfälle weniger schwere Folgen haben?

Solche Fragen zu besprechen erfordert Vertrauen. Deshalb ist das nicht als Agenda für ein einzelnes Gespräch gemeint, sondern als Ziel eines Beziehungsaufbaus zu den entsprechenden Mitarbeitenden. Wenn das gelingt, dann sind konstruktive und praktische Ideen möglich. Einige Beispiele:

  • Eine Mitarbeiterin hat den Schreibtisch umgestellt, so dass sie weniger Zugluft abbekommt.
  • Ein Mitarbeiter hat bei drohender Terminverfehlung enge Absprache mit der Führungskraft gehalten, so dass die „Notbremse Krankheit“ nicht mehr gezogen werden brauchte.
  • Eine Migräne-erkrankte Mitarbeiterin hat vereinbart, schon dann nach Hause zu gehen, wenn sie das Gefühl eines nahenden Anfalls bekommt. So kann sie schneller Gegenmaßnahmen einleiten und die Abwesenheitszeiten deutlich reduzieren.
  • Eine Sachbearbeiterin bekam stressbedingte Kopf- und Rückenschmerzen, wenn sie in Zeiten großen Arbeitsanfalls abends mehr Rückstände hatte als morgens, auch wenn sie konzentriert gearbeitet hatte. Sie lernte, nicht mehr auf die Rückstandszahlen zu gucken, sondern die erledigten Anfragen zu zählen.

Heimliche Spielregeln im Team

Eine gefundene Lösungsidee muss in der Abteilungskultur bestehen können. Deshalb ist es im weiteren Sinn auch Führungsaufgabe, diese zu beeinflussen in Richtung auf Leistungs- und Stresskompetenz.

Das Tückische an heimlichen Spielregeln ist jedoch, dass sie den Beteiligten so selbstverständlich sind. Jeder findet das normal, was er gewohnt ist – erst im Austausch mit anderen, nicht Beteiligten erkennt man, dass es auch anders laufen könnte. Dieses Lernen kann beispielsweise in einer kollegialen Beratung passieren.

Für den Umgang mit krankheitsbedingten Fehlzeiten sind heimliche Spielregeln z. B. in Bezug auf Pausen (durcharbeiten – überziehen), Krankmeldungen nach dem Urlaub, bei Brückentagen oder formale Wege der Krankmeldung (WhatsApp – bei Kollegin – beim Chef) relevant.

Führungskräfte wirken stark auf solche ungeschriebenen Regeln ein, indem sie Grenzen bestimmen und mittels Sanktionen verteidigen, und indem sie Belohnungs-„Regeln“ vertreten. Hier ist auch Konsequenz und Streitkultur nötig.

Investition in Vertrauen

Ein Abteilungsteam ist ein lebendiges Gebilde, das man nicht gänzlich „managen“ kann. Im Umgang mit häufig fehlenden Mitarbeitenden wird das immer wieder spürbar. Deshalb ist es mit Adhoc-Maßnahmen nicht getan, sondern braucht einen langen Atem. Die Führungskraft muss Zeit investieren in Kontakt, in ihre Mitarbeitenden. Je besser sie ihre Mitarbeitenden kennt, desto individueller werden Mitarbeitergespräche: aus einem Rückkehr-Gespräch kann ein Kritikgespräch, ein Sanktionsgespräch, ein Problemlösungsgespräch oder ein Unterstützungsgespräch  werden.

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Sabine Neugebauer
Von Sabine Neugebauer

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